Anne de Marcken: „Es währt für immer und dann ist es vorbei“

Eine Bemerkung vorweg: Fast wäre diese Rezension nicht zustande gekommen. Das erste Mal in der Hand hatte ich das Buch mit dem blutrot-schwarzen Cover auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Es mag am Messetrubel gelegen haben, aber die Plotbeschreibung hat mich erst mal nicht weiter fasziniert. Zombie-Charaktere in einer postapokalyptischen Welt: Klingt nach B-Movie-Kost, nein danke! Beim zweiten Lesekontakt im Buchladen meines Vertrauens packte es mich dann doch, was auch an Clemens J. Setz als Übersetzer gelegen haben kann. Der Österreicher hat mit seinem Hang zur Doppelbödigkeit selbst schon so manchen literarischen Pflock eingeschlagen, etwa mit „Monde vor der Landung“ oder „Der Trost runder Dinge“.
Meine Neugier auf das Rendezvous mit den Untoten von Anne de Marcken war also geweckt. Und was soll ich sagen: Der Roman ist eine atmosphärische Punktlandung! Er öffnet eine Erzählwelt, die zwar irdisch zu sein scheint, aber gleichzeitig fremd wie Mondgestein wirkt. Wir begegnen Geneviève, der weiblichen Hauptfigur. Ihren wahren Namen hat sie vor langer Zeit vergessen, dieses Schicksal teilt sie mit all ihren Gefährten im Hotel der Untoten:
„Sie sitzen zusammen und sagen einen Namen nach dem anderen auf, in der Hoffnung, dass sie, wenn ihr eigener genannt wird, ihn erkennen werden. Oder sie schreiben Namen an die Wände, in den Aufzug, auf die Lüftungsanlage auf dem Dach, in den Staub, den Staub, den Staub, der alles bedeckt. Jeder kann einen Namen wählen.“
Man erfährt weder, was zu ihrem Zombietum geführt hat, noch warum die Welt sich in einem postapokalyptischen Zustand befindet. Eins wird aber deutlich: Die Sorgen und Nöte der Untoten unterscheiden sich in der existenziellen Dringlichkeit gar nicht so sehr von denen der Lebenden. Geneviève verliert gleich zu Beginn der Geschichte ihren linken Arm. Einfach so. Und nun heißt es, sich neu zu organisieren: Kleidung, Gleichgewicht, alles muss bedacht werden. Oder die Sache mit der Krähe in ihrer Brust. Als Herzersatz gedacht, beginnt das Tier alsbald ein skurriles Eigenleben zu führen. Es gibt kryptische Dreiwortsätze von sich, wie „Scharf. Sicher. Falte.“ oder „Offen. Stein. Wolle.“.

„Es währt für immer und dann ist es vorbei“: Ein Erzähllabyrinth der besonderen Art
Es sind genau diese wohldosierten grotesken Elemente, die dem Text seinen Reiz verleihen. Sicher, es lugen mitunter auch Trash-Momente aus ihm hervor – hier erliegt Anne de Marcken wohl einem gewissen Genre-Zwang – etwa wenn die Zombies Hunger nach Menschenfleisch haben und auf Jagd gehen. Man liest sich durch eine seltsam entrückte Zwischenwelt, wie in Watte gepackt, in der selbst Ungeheuerliches seinen Schrecken verliert.
„Ich drücke meine Wange an den Rücken des toten Mädchens, als wären es kühle Badezimmerfliesen. Als könnte mich das besänftigen.“
Nach und nach schält sich der wahre Grund von Genevièves Unruhe heraus. Es zieht sie westwärts, in die Dünen, zum Meer. Dort, wo ihre Erinnerung die Zeit mit einem geliebten Menschen verortet. Jemanden, der einst alles für sie war und irgendwann starb. Während sie dazu verdammt ist, als Untote immer weiter zu existieren. Wir begleiten sie auf dieser Reise zum Meer, durch Landschaften, in denen die Natur auf beinahe unheimliche Weise wuchert und wächst, während die Menschen aus ihr verschwunden sind.
Wird sich der Titel „Es währt für immer und dann ist es vorbei“ am Ende einlösen? So viel sei verraten: Auch zum Finale driftet das Zombie-Sujet in atypische Gefilde. Anne de Marcken versteht es, ihr Buch als tief melancholisches Tauchbad in die Gefühlssphären von Schmerz und Verlust anzulegen und gleichzeitig so etwas wie Hoffnung durchschimmern zu lassen. Und für die gleichermaßen zurückgenommenen wie durchdringenden Sprachbilder hätte sich tatsächlich kaum ein besserer Übersetzer als Clemens J. Setz finden können.
Text: Annett Jaensch
Buchinformationen:
Anne de Marcken: „Es währt für immer und dann ist es vorbei“
Suhrkamp,
2025
ISBN: 978-3-518-43222-8